Diamonds

Autoreisende sind in ihrem Gehäuse aus Blech und getöntem Glas nicht zu sehen,  da zählen PS, Marke, Baujahr. Menschen, die fliegen, sind für die Anderen auf der Erde nur als silberner Punkt am Himmel auszumachen. Wandernde verschwinden üblicherweise im Wald. Motorradfahrer hingegen sind da, wo die Leute sind: auf der Straße.  Und: sie sind zu sehen. Ihr Körper. Ihre Gestalt. Nur der Helm schützt sie vor den Blicken. Sie sind unfassbar verletzlich bei ihrem Tun. Die Geschwindigkeit ist meist zu hoch für Bagatellverletzungen. Sie sind absolut auf die Rücksicht der stärkeren Verkehrsteilnehmer angewiesen. Jeder Rempler kann sie zum Sturz bringen. Für mich sind sie die Daimonds unter den Reisenden.

Das meint auch der Gruß unter den Motorradfahrern: "Wir wissen um unsere Verletzlichkeit. Komm gut nach Hause".

Auch ich werde gegrüßt und grüße  zurück. Nicht nur von Motorradfahrern. Auch Autofahrer, LKW Fahrer grüßen. Wenn ich ihnen Platz mache fürs Überholen. Wenn sie sehen woher ich komme und meine Reiseabsicht erkennen am Gepäck.

Ein Autofahrer hat mal aus seinem Fenster geschrien. In Polen. Dem war ich wohl zu zögerlich im Stadtverkehr unterwegs. Er hatte es sicher eilig.

Ich bin dankbar für jeden guten neuen Tag auf dieser Tour Gen Osten. Eingezwängt zwischen Seitentaschen, Packrucksack und Tankaufsatzbox sitze ich gemütlich auf meiner Enduro.

Ich bin jetzt 10 Tage unterwegs, ertrage die mittägliche Hitze in den Motorradklamotten, den Abgasgestank zwischen den Autos an den Ampeln, das fettige Essen und die fiesen kleinen Mückenbiester am Abend. Ich habe Kiev ohne allzu viele Probleme durchquert, brettere über  rumplige Holperpisten, weiche Hühnern und Ziegen aus und erreiche bald die russische Grenze. Neue Herausforderungen warten dort auf mich.

Aber was auch immer sich bisher ereignete, ich würde sofort wieder aufbrechen.