Kirgistan und die Zeit der Hunde

Der Grenzbeamte an der kirgisischen Grenze kam auf mich zu, gab mir die Hand und zeigte mir einen Platz im Schatten, wo ich die Honda während der Grenzformalitäten abstellen konnte. Sie wollten nicht einmal, dass ich die Packsäcke öffne. Ich bin in Kirgistan. 

Die schneebedeckten Berge des Tian Shan im Blick erfüllte mich große Freude, mir kam die Tränen. Ich hatte es geschafft mit der kleinen Reise Enduro den weiten Weg zu bewältigen.... Das war dann nach einer ersten Steigung in einer engen Kurve gleich vorbei; eine tiefe Rille verkantete das Hinterrad der Enduro und beim unvorsichtigen Versuch, wieder rauszukommen, sprang die eh bereits recht lockere Kette ab. Ohne Kette kein Antrieb! Glücklicherweise war ich langsam um die sehr enge Kurve gefahren, aber die Honda stand manövrierunfähig quer auf der steilen und schrägen Fahrbahn. Ich bat eine kirgisische Familie um Hilfe, die am nahe liegenden Staudamm Fotosession machte, und alle kamen sogleich um mir zu Hilfe zu eilen. Mir vereinten Kräften war die Kette bald wieder an ihrem Platz. Spannen wollte ich sie später in der Unterkunft. Auf der Straße nach Talaz, meiner ersten Bleibe in Kirgistan, traf ich dann Martina und Sven. Sie sind Schweizer, seit 2013 in einem Jeep unterwegs und sind auf der "Suche nach der Regenbogenschlange" (www.abenteuerlandnomaden.ch). Ihre Homepage sei, so erklären sie unter breitem Grinsen, zumindest in Bearbeitung.

In ihrem Guest House in Talaz erwartete mich Kishimzhan. Und was ich hier an Gastfreundschaft erleben durfte, ist kaum beschreibbar. Sie gab mir SOM (Kirgisische Währung) um mit einem Taxi ins Zentrum zu fahren und Geld zu holen und die notwendige SIM Card. Zwei Freunde ihres Sohnes begleiteten mich dabei und nach kurzer Zeit konnten wir zurückfahren. Jetzt die Kette spannen. Im Jungen Theater sagt man "Männerfest", wenn eine Schraube gut zugedreht ist. Ich brauchte also wieder Hilfe. Ihr Sohn war mittlerweile von der Arbeit nach Hause gekommen. Er und sein Freund waren sofort bereit, nicht nur die eine Schraube zu lösen sondern gleich die ganze Kette ordentlich zu spannen. Mir blieb nur sie dabei filmisch zu begleiten (meinem Filmteam zur Freude...) Abends erzählte mir dann Kishimzhan von ihrem Sohn. Er ist im Alter von 27 Jahren bei den revolutionären Unruhen in Bischkek/Kirgistan 2010 auf der Straße erschossen worden. Seine kleine Tochter Elisa war grade eineinhalb Jahre alt, der Sohn noch nicht geboren... Lange saßen wir zusammen, die trauernde Mutter zeigte mir Fotos. In Talaz bekamen ihr Sohn und die anderen Erschossenen aus der Gegend Denkmäler von der Regierung, die das Schießen beauftragt hatte. Bilderreiche Bücher berichten nun Grundschulkindern von diesem tragischen Ereignis. Trotzdem hofft Kishimzhan, dass es in Kirgistan einmal eine Demokratie geben könnte wie in Deutschland...

In dieser Nacht schlief ich in der kleineren Gästejurte. Nicht zum ersten Mal; bereits im Terelsch Gebirge in der Mongolei konnte ich eine solche Unterkunft genießen. Damals allerdings hatte es in der Nacht geschneit und die Temperaturen fielen auf Null Grad...

In dieser Nacht in Talaz war es warm, über meiner kleinen Jurte stand der Halbmond am Himmel und ich hörte die Hunde ihr Lied singen. Dann, wenn der Lärm der Menschen verstummt, wenn die Maschinen still stehen, beginnt die Zeit der freien Hunde in Zentralasien. Irgendwo beginnt Einer, dann fällt ein Zweiter ein, ein Dritter antwortet bis schließlich ein ganzer Chor den Mond ansingt. Vielleicht war in dieser Nacht auch das entfernte Heulen eines Wolfes darunter...

Am Morgen ging es hinauf ins Tian Shan Gebirge und ich traute meinen Augen nicht, als ich mich auf dem Otmok Pass auf 3326m Höhe wiederfand. Die Honda hatte erst geschluckt und gezuckelt; als ich aber mit den Gängen zu spielen anfing, kam sie in ihr Element und zeigte mir was eine kleine Reiseenduro kann! Und Läude, ich kann euch nur sagen, es ist dort oben soooo schöööön! Die Luft ist von solcher Reinheit, dass es eine Freude ist zu atmen. Die Farben voller Leuchtkraft, jede neue Kurve bringt atemberaubende neue Eindrücke mit sich! Und nur wenig unterhalb des Passes leben sie, die Nomaden in ihren Jurten mit ihren großen Pferdeherden; wärmen sich an den Feuerstellen. Ich wäre gern da oben geblieben, aber mein Weg wird in noch größere Höhen führen...

In Toktogul fing mich Maria an der Tourist Infostation ab und lockte mich in ihr Hostel. Hier werde ich nun mit großer Gastfreundschaft von der Familie aufgenommen und überaus gut bewirtet.