Tadschikistan und der Anbeginn der Erde

Spät kam das Filmteam endlich aus Osch an. Shamurat und ich machten uns schon Sorgen; aber sie haben tatsächlich in jeder Kurve angehalten und gefilmt in den Bergen.

Shamurats guest house war voll: das Filmteam, der Fahrer, zwei Fahrradreisende aus USA und ich. Jeder mit seiner Geschichte. Glücklicherweise waren die Reisenden alle müde. So wurde nicht allzu lange palaverd. Sie waren bald in ihren Betten verschwunden.

Der Aufbruch an die Grenze nach Tadschikistan zog sich hin, das Filmteam filmte und die schneebedeckten Berge der Transalaikette des nördlichen Pamir, darunter der Pik Lenin mit 7134m, versanken in dunklen Regenwolken. Zwei Tage schon waren über dem Kyzyl-Art-Pass, dem Übergang nach Tadschikistan, schwere Regen- und Schneeschauer niedergegangen. Heute schien immer wieder die Sonne. Die Überquerung könnte gelingen. Nach vier Tagen Ausruhen - jeden Tag war ich unruhig zu Fuß über die Steppe Richtung Transalai zum Fluß hinüber gewandert - wollte ich endlich weiterfahren. Wir konnten am Fuße der Gebirgskette großartige Szenen drehen. Die Prozedur am kirgisischen Grenzübergang dauerte. Aber als die Beamten schließlich ihre Mittagspause beendet hatten, ging alles flott voran. Dann der Anstieg zum Pass. Der tadschikische Kontrollposten befindet sich 25 km weiter oben. Die Piste war schlammig, aufgeweicht vom Schneeregen der letzten Tage, Steine- und geröllübersät. Ich rutschte mit dem Motorrad weg. Die Honda und ich schlammüberzogen. Das Filmteam half.

Die Piste wurde steiler. Dunkle Wolken zogen auf. Es begann zu regnen. Dann zu schneien. Auf 4000m kam ein eisiger Wind dazu. Ich stürzte mehrmals im Schneeschlamm. Der Kupplungshebel brach unreparierbar ab. Mit vereinten Kräften tauschten wir ihn aus. Der einzige Motorradfahrer, der mir von oben im Schneesturm entgegen kam, rief mir verwundert zu: "A woman? Oh! Good luck!" Auch er war offensichtlich mehrfach gestürzt mit seiner vollgepackten, schweren Maschine.

Aufgeben ist in einer solchen Lage nicht möglich.  Verdreckt, mit  verfrorenen Fingern, die ich immer wieder am Motor aufwärmen musste, erreichten wir schließlich den tadschikischen Kontrollposten. Oben auf 4336 m Höhe eine eisige Schlamm Fläche. Einer der Grenzer wollte mir für die Passage 100 Dollar abnehmen. Unser Fahrer konnte das abbiegen. Ziemlich fies, jemanden der sich so hochgekämpft hat, auch noch abzuziehen. Zumal Tadschikistan heur das Jahr des Tourismus ausgegeben hat.

Die Weiterfahrt auf über 4000m Höhe im kalten Wind mit nassen, verschlammten Motorrad Klamotten bis zum Karakul See verbrauchte meine letzten Kraftreserven.

Zur Linken dann die chinesische Grenze. Dort, in der Bergregion zwischen China und Tadschikistan zeigt sich der Pamir von seiner wilden Seite. Ein Szenarium wie zu Anbeginn der Erschaffung der Erde. Reine Natur. Keine Menschenseele wird hier jemals etwas  verändern. Verwirrend. Beeindruckend. Erschütternd ob dieser Reinheit der Naturgewalten. Hier zählt der Mensch nicht. Und: ich bin bis China gereist mit meiner kleinen Enduro...

Am Karakul See kamen wir bei der Familie unseres Fahrers unter. Verdreckt, erschöpft, mit nassen Klamotten erkannten sie sofort, was wir brauchten. Einen warmen Ofen. Heißen Tee. Eine Suppe.

Fazit: diese Pass Überquerung kann nur bei guten Wetterbedingungen und möglichst in einer Gruppe oder in Begleitung eines Fahrers bewältigt werden. Wetterumschwünge in dieser Höhe können schnell über den Reisenden hereinbrechen und bedrohlich werden.

Paul vom Filmteam stand mir zusammen mit dem Fahrer auf der harten Strecke zum Pass ohne Murren oder Kritik zur Seite. Knöchel tief versank er dabei im Schlamm. Drehte mit der Zange den bei einem Sturz verbogenen Zündschlüssel wieder gerade, so dass die Honda wieder manövrierfähig wurde. 

Wir kennen uns aus Projekten vom Theater. Haben schon einiges zusammen auf die Beine gestellt.  Paul ist 20 Jahre alt.  Er könnte mein Enkel sein.  Wir haben uns in den wenigen Tagen, die das Filmteam mich begleiten konnte, besser kennen gelernt. Paul ist ein echt toller Typ!